Wappen der Familie Brentano
Baron von Brentano

Geschichte und Bedeutung

Das heute unter dem Namen „Brentanohaus“ bekannte, in Oestrich-Winkel gelegene langgestreckte Gebäude mit dem großen Mansardendach wurde 1751 von der Binger Familie Ackermann erbaut. Umgeben war – und ist – es von einer weitläufigen, mit einer Mauer umgebenen Gartenanlage. Der reiche Frankfurter Kaufmann Franz Brentano, ein Halbbruder der Dichtergeschwister Clemens und Bettine, erwarb das Anwesen 1804, um es als Sommersitz für sich und seine Frau Antonie geb. Edle von Birkenstock zu nutzen. Seit Sommer 1806 wurde es zunächst während des Sommerhalbjahrs, später dann ganzjährig bewohnt; hier wuchsen zu großen Teilen die insgesamt sechs Kinder Franz und Antonie Brentanos auf. Auf Grund seiner idyllischen Lage am Rhein und der günstigen klimatischen Bedingungen am Fuße der Rheingau-Hügel entwickelte sich das Anwesen rasch zu einem Mittelpunkt der gesamten Brentano-Familie und ihres Freundes- bzw. Bekanntenkreises, zu dem viele bekannte Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik zählten.

Zu den Besuchern und Gästen gehörten u.a. Achim von Arnim, die Brüder Jacob, Wilhelm und Ludwig Emil Grimm, Freiherr vom Stein und Johann Wolfgang von Goethe. Mit symbolischer Dramatik aufgeladen wurde der Ort schon früh durch den Freitod Karoline von Günderrodes am 26. Juli 1806. Indem Bettine Brentano dieses Ereignis umgehend nach Weimar berichtete und Goethe zur Kenntnis brachte, sorgte sie dafür, dass sich der Nimbus des Hauses bald überregional verbreitete und die enge Verbindung der Brentanos mit dem Symbolfluss Rhein im Bewusstsein vieler Zeitgenossen verankerte. Einen entscheidenden Anteil daran haben aber auch die Schriften einiger namhafter Autoren der Romantik. Die Präsenz des Rheins, der nahe gelegene Übergang des sanften Rheingaus in die felsenreiche, schluchtenartige Formation des oberen Mittelrheintals und die dort anzutreffenden Burgruinen regten nämlich u.a. Clemens und Bettine Brentano sowie Achim von Arnim zur verstärkten Beschäftigung mit der Rheinlandschaft an. Im Gefolge entwickelte sich eine regelrechte Rheinromantik. Dadurch dass das Brentanohaus in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle als Anlaufpunkt und Begegnungsort spielte, wurde es zeitweilig sogar zu einer Art Zentrum der Rheinromantik. Die symbolische Bedeutung des Ortes war auch Goethe bewusst, als er im Spätsommer bzw. Frühherbst 1814 ganze acht Tage im Winkeler Haus der Brentanos verbrachte und von hier aus Ausflüge in die nähere Umgebung unternahm. Die dabei gewonnenen Eindrücke hielt er u.a. in dem Reisebericht ‚Das Sankt-Rochus-Fest zu Bingen’ und den tagebuchartigen Aufzeichnungen ‚Im Rheingau Herbsttage‘ fest.

Nach 1800 war das Brentanohaus in Oestrich-Winkel nur eines von mehreren Anwesen, durch welches die in Frankfurt angesiedelte, personenreiche Familie Brentano in der Region auf markante Weise präsent war. Daneben gab es die in der Frankfurter Innenstadt gelegene vierflügelige Anlage Zum Goldenen Kopf, die das eigentliche Handelshaus beherbergte und wo die Familienmitglieder meist im Winter lebten, das von Georg Brentano erworbene sog. Petrihaus in Rödelheim mit seinem weitläufigen Landschaftspark, später auch das Aschaffenburger Haus in der Dalbergstraße, in dem ab 1837 Christian Brentano mit seiner Frau Emilie wohnte und in dem Clemens Brentano am 28. Juli 1842 starb, das im Auftrag der Schwester Ludovica (geschiedene Jordis, verwitwete des Bordes) nach Plänen von Friedrich Schinkel neu errichtete Gebäude in der Neuen Mainzer Straße in Frankfurt und das gleichfalls von Ludovica am 22. Februar 1845 gekaufte Schloss Wasserlos bei, das sie gemeinsam mit Adoptivtochter, Schwiegersohn und Enkelkindern bezog.

Von diesen historischen Stätten der Familie Brentano sind nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch wenige übrig. Die beiden Frankfurter Anwesen bestehen nicht mehr und die übrigen haben ihren Charakter als kulturgeschichtliches Dokument weitgehend eingebüßt: Schloss Wasserlos wurde zu einem Krankenhaus umgebaut, das Aschaffenburger Haus ist im Inneren gleichfalls völlig verändert. Immerhin hat das Rödelheimer Petrihaus nach grundlegender Sanierung sein früheres äußeres Erscheinungsbild zurück erhalten; von der einstigen Inneneinrichtung ist allerdings nichts mehr übrig.

Einzig das Brentanohaus in Oestrich-Winkel, das sich bis Dezember 2014 in Familienbesitz befand, ist in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben. Dies betrifft nicht nur das Äußere, sondern vor allem auch das Interieur mit großen Teilen der originalen Einrichtung und vielen historischen Andenkenstücken. Die letzten privaten Eigentümer der Familie Brentano haben insgesamt fünf Wohnräume des Hauses – darunter jene, die Goethe bei seinem Aufenthalt im Rheingau 1814 bewohnte – so belassen bzw. wieder hergerichtet, wie sie vor 200 Jahren Anfang des 19. Jahrhunderts einmal ausgesehen haben. So ist das Brentanohaus in Oestrich-Winkel das einzige Gebäude, das weitgehend authentisch dokumentiert, wie Familie und Gäste gelebt haben. Ihm kommt daher der Rang eines kulturhistorischen Denkmals ersten Ranges zu. Das historisch herausragende Bauwerk vermittelt – auch über Architektur und Landschaft – eine topographische Erinnerung an die Epoche der Romantik, welche die Rhein/Main-Landschaft kulturgeschichtlich nachhaltig geprägt hat.

Baron von Brentano